Das historische Versagen der Linken
"Durch die einseitige Fixierung auf das Virus wurden Abwägungsprozesse zwischen Nutzen und Schäden der Maßnahmen als „unsolidarisch“ oder „rechts“ denunziert und Behauptungen der Regierung über die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen trotz erheblicher wissenschaftlicher Zweifel unkritisch übernommen. Ob Hunderttausende von Kindern und Jugendlichen in schwere psychische Krisen abgleiten würden, alte Menschen einsam starben, Millionen von Menschen, besonders im Globalen Süden, aufgrund der Maßnahmen im Norden ihre Existenzgrundlage verloren, Impfunwillige zu Aussätzigen erklärt oder die Fundamente der Demokratie erodiert wurden: All das war vielen Linken kaum mehr als ein verschmerzbarer Kollateralschaden.
Einige Linke wollten sogar noch radikaler vorgehen und initiierten im Januar 2021 die Kampagne „Zero Covid“. Fabriken, Büros und Schulen sollten europaweit so lange geschlossen werden, bis es keine Infektionen mehr gäbe. Doch „Zero Covid“ beruhte auf einer puren Fiktion: zum einen, dass sich ein hoch infektiöses Atemwegsvirus in einer globalisierten Zivilisation mit acht Milliarden Menschen komplett ausrotten lässt; zum anderen, dass man das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben zum Stillstand bringen könne. Jeder Versuch, diese aussichtlose Strategie in die Tat umzusetzen, wäre zudem nur um den Preis eines extrem repressiven Überwachungsstaates möglich gewesen. Trotzdem wurde der Aufruf von einem breiten Spektrum, von Katja Kipping über Rahel Jaeggi bis Luisa Neubauer, unterstützt. Im Effekt verstellte der Zero-Covid-Appell den Blick darauf, dass die Lockdown-Politik in der realen Welt (und nicht im sozialistischen Zauberland, das der Appell skizzierte) eben jene Machtverhältnisse, die die Unterzeichner überwinden wollten, noch verfestigte. Denn de facto bedeutete die Lockdown-Politik einen Klassenkampf von oben. Sie wurde von Funktionseliten getragen, die von den Einschränkungen der Lockdowns deutlich weniger betroffen waren als die breite Bevölkerung, und bescherte den Reichen „das finanziell erfolgreichste Jahr in der Menschheitsgeschichte“ (die Zeit).
Gleichzeitig fielen laut Schätzungen der Weltbank 2020 weltweit 111 bis 149 Millionen Menschen in absolute Armut und stieg laut den Vereinten Nationen die Zahl vom Hungertod bedrohter Menschen um 121 Millionen. Dies war nicht in erster Linie, wie immer wieder behauptet wurde, die Folge der Pandemie selbst, sondern vor allem von fehlgeleiteten Maßnahmen."
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-linke-waehrend-der-pandemie-sie-sprachen-von-anti-impf-terroristen