Da schon im Vorfeld gefühlt überall zur Teilnahme am heutigen EU-Wahlspektakel aufgerufen wurde, sollte vielleicht überlegt werden, welches System man durch die Teilnahme an der Wahl legitimiert:
Die EU steht heutzutage und längst für das brutale Frontex-Grenzregime, das massenhafte Sterben geflüchteter Menschen im Mittelmeer und gleichzeitig für das Erzeugen vieler Ursachen, die Menschen erst zur verzweifelten Flucht antreiben. Die EU steht für Militarisierung, Aufrüstung, Autoritarisierung und Polizeistaat, für biometrische Massenüberwachung und die überwachungskapitalistische Transformation aller Lebensbereiche hin zu einem grüngewaschenen und trotzdem klima-, umwelt- und menschenzerstörenden Datenkapitalismus.
"Gemäßigte" konservative, sozialdemokratische, grüne, linksliberale und klassische Neoliberale segnen das komplett oder großteils ab. Viele zeigen sich begeistert von der EU und monieren höchstens, dass einzelne Sachen nicht so richtig liefen aber das System an sich schon funktionieren würde. Wenn sonst nichts zieht, verweisen sie gerne auf die Freizügigkeit und irgendein "Zusammenwachsen von Europa" über nationale Grenzen hinweg. Aber auch das wird längst zur Farce mit der Rückkehr von de facto dauerhaften Binnen-Grenzkontrollen, wie sie zB eine Nancy Faeser durchsetzt, welche dafür die Billigung der EU-Kommission erhält. Der andere Teil der Rechten, jener der sich in seiner Propaganda EU-kritisch inszeniert, beteiligt sich trotzdem an diesen Entwicklungen. Wenn nicht gleich mit und über die EU - mit der auch die weit Rechten eigentlich ziemlich gut zurecht kommen (siehe Meloni) dann eben über ihre nicht minder abstoßenden, kleinteiligen Nationalstaatsprojekte als "Alternative".
Selbst dann, wenn man die repräsentative Demokratie aus Gründen für ausreichend befinden sollte, dies zu ändern, sollte nicht vergessen werden, wie das EU-System funktioniert. Anders als andere Parlamente, verfügt das wählbare EU-Parlament über kein Initiativrecht, um Gesetze einzubringen. Gesetze einbringen kann in der EU nur die Kommission, die über die größte Macht verfügt und de facto Legislative und Exekutive der EU in sich vereint. Die Kommission kann nach den Regularien der EU auch das Parlament in Not- und Krisenzeiten aushebeln, so dass es nicht einmal mehr den oberflächlichen Einfluss auf Detailfragen hat.
Anders als das Parlament wird die Kommission nicht von den Wähler*innen gewählt. Das Parlament kann den/die Kommissionspräsident*in wählen und dafür "Spitzenkandidaten" vorschlagen. Wie 2019 aber besonders klar wurde, wird dann einfach mal völlig unerwartet eine Ursula von der Leyen nach einem Deal zwischen dem neoliberal-autoritären Macron und seinen rechtskonservativen Buddies in Polen, Ungarn usw. eingesetzt und vom Parlament abgenickt. Die dann ihrerseits die korruptesten unter den korrupten Großkonzernlobbyisten und Polizeistaatsfans als Kommissionsmitglieder einsetzt.
Das wird sich auch nach dieser Wahl - unabhängig von den Ergebnissen - wohl nicht ändern, egal ob Zensursula 5 Jahre mehr im Amt sein wird oder durch einen Draghi oder sonst wem ersetzt wird. Wahrscheinlich aber wird die Kommission die Teilnahme aller Wähler*innen wieder benutzen, um ihre Macht und das System zu legitimieren. Denn schon 2019 hatte die EU in Brüssel nach der Wahl unter dem hashtag "#elected" die Message verbreitet, dass alle 51 Millionen Wahlteilnehmende gewählt hätten, zB um die "Sicherheits"- und Rüstungspolitik der EU zu intensivieren und die Kommission an die Macht zu bringen.