Entführt ohne Anklage – Verstümmelt entlassen
Wir haben einen ausführlichen Bericht zur Lage der Gefangenen in den Kerkern der Besatzung anlässlich des Tages der palästinensischen Gefangenen verfasst.
Der Palästinenser Sufyan Abu Salah aus Khan Younis kann sich nur mit Mühe fortbewegen. Mit einer Hand versucht er sich auf einen dünnen Stock zu stützen, zwei Männer halten ihn rechts & links. Vor zwei Tagen, am Morgen des 15. April, wurde Abu Salah aus israelischer Geiselhaft entlassen. Sein linkes Hosenbein ist unter dem Oberschenkel hochgebunden, vom linken Bein ist ihm nur ein Stumpf geblieben. Es ist nicht der erste Fall dieser Art. Anfang April berichtete der Arzt eines israelischen Gefängnisses in einem offenen Brief, dass in nur einer Woche zwei Gefangenen die Beine amputiert werden mussten. Sie waren durch das Anlegen von Fesseln (häufig Kabelbinder) so stark verwundet worden, dass ihre Beine nicht mehr gerettet werden konnten. „Leider sind solche Amputationen inzwischen Routine geworden“ schreibt der Arzt [...]
In diesem Jahr ist es kaum möglich, das Ausmaß der Entführungen von Palästinenser:innen durch die Besatzung zu erfassen. Seit dem 7. Oktober ist die Welle der Verschleppungen nicht abgerissen. Zwar gibt es Zahlen zum Westjordanland, allerdings ist unbekannt wie viele Menschen in oder aus dem Gazastreifen verschleppt wurden [...]
Seit Oktober wurden im besetzten Westjordanland, einschließlich des besetzten Jerusalems, 8.270 Palästinenser:innen entführt, darunter etwa 275 Frauen, 520 Kinder und 66 Journalist:innen. Insbesondere die Zahl der Palästinenser:innen in Administrativhaft hat massiv zugenommen. Administrativhaft. Es ist Willkürhaft - eine Haft ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil und sogar ohne Beweisnennung, Gefangene verbringen teils Jahre im Gefängnis, ohne jemals den Grund ihrer Gefangenschaft zu erfahren. Bis Anfang April lag die Zahl der seit dem 7. Oktober in Administrativhaft genommenen Palästinenser:innen bei 3.660. Auch 45 der 66 seit Oktober inhaftierten Journalist:innen sind in Administrativhaft. Verschiedene Gefangenenorganisationen berichten von gegenwärtig über 9.500 Gefangenen, darunter 80 Frauen und mehr als 200 Kindern und Minderjährigen – ohne die Gefangenen aus Gaza.
Diejenigen, die den Gefängnissen entrinnen berichten Grausames. Es gibt zahlreiche von der UN dokumentierte Zeugenaussagen von Gefangenen im Alter zwischen 6 und 82 Jahren, die von tagelangem Verharren in Zwangspositionen, Schlägen, Schlägen mit Metallstöcken, Elektroschocks, Übergießen mit heißem Wasser und der erzwungenen Injektion unbekannter Substanzen oder sexuellem Missbrauch berichten. In einem entsprechenden UN Bericht heißt es: „In den meisten Fällen sind die freigelassenen Häftlinge extrem desorientiert, hungrig, körperlich erschöpft & zeigen sichtbare Anzeichen eines körperlichen & seelischen Traumas und tragen schmutzige Kleidung, manchmal mit sichtbaren Blutflecken. Sie sind sich oft nicht bewusst, dass der Krieg weitergeht, manchmal wissen sie nicht, dass sie nach Gaza zurückgekehrt sind & sie kennen weder den Aufenthaltsort noch das Schicksal ihrer Angehörigen“ [...]
Aus Gaza mehren sich die Berichte über Scheinhinrichtungen. So wurden etwa Gefangene gezwungen Gruben auszuheben und sich hineinzulegen oder sie mussten sich auf den Boden legen, während ein Panzer so knapp an ihnen vorbeifuhr, dass sie glaubten, überrollt zu werden. Teil 1/2